Mittwoch, 28. Juni 2023

Was stärkt oder verhindert Freundschaften beim Schulwechsel?

Eine Studie in Zusammenarbeit mit der Karl Landsteiner Privatuniversität untersuchte die Sichtweise von Jugendlichen auf jene Faktoren, die die Entwicklung von Freundschaften mit Gleichaltrigen zum Zeitpunkt des Schulwechsels erleichtern oder behindern. Erstmalig wurde eine Methodik aus der partizipativen Forschung angewendet, bei der die jungen Menschen aktiv und im Rahmen von Workshops in die qualitative Befragung eingebunden werden. Die Analyse wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „D.O.T – Die offene Türe“, die sich mit psychischer Gesundheitsförderung von Jugendlichen beschäftigt und von der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems und Ludwig Boltzmann Gesellschaft etabliert wurde, durchgeführt.

Sichere und vertraute Beziehungen zu Gleichaltrigen sind für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von grundlegender Bedeutung. Daher sind Freunde eine wertvolle Ressource, insbesondere in der Zeit des Übergangs von der Grundschule zur weiterführenden Schule. In der aktuellen Literatur fehlt es jedoch sowohl an neuen Ansätzen zur Untersuchung der Freundschaftsentwicklung als auch an der Einbindung von Jugendlichen in die Forschung über sie selbst.  In der aktuellen Studie, die im Journal of School Psychology publiziert wurde, wurden neuartige partizipative Forschungsmethoden angewandt, bei denen die Jugendlichen aktiv an der Analyse der von ihnen selbst generierten Daten beteiligt waren, schildert Ina Krammer, eine der Studienautorinnen. „Wir wollten zu der Thematik ein besseres Verständnis bekommen und konkrete Faktoren identifizieren, die dann auch in der Praxis Einfluss nehmen können.“

Jugendliche als Expert:innen ihrer Generation
Insgesamt 916 Schüler:innen um die 10 Jahre nahmen an 54 partizipativen Workshops teil, die in Niederösterreich durchgeführt wurden. „Wir nutzten eine sogenannte reflexive thematische Analyse, um die qualitativen Daten von Teilen einer großen Reihe von partizipativen Workshop-Aktivitäten zu analysieren. Die Themen wurden dabei in persönliche, zwischenmenschliche und externe Faktoren unterteilt.“ Die Ergebnisse zeigen, dass die Jugendlichen freundliche Gleichaltrige schätzen, die ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben, unterstützende und empathische Handlungen zeigen, Konflikte bewältigen und negatives Verhalten vermeiden. Weitere wichtige Faktoren sind, Zeit zusammen zu verbringen und die Fähigkeit, sowohl in der Offline- als auch in der Online-Umgebung kommunizieren zu können. Obwohl gemeinsame Verhaltensnormen die Entwicklung von Freundschaften unterstützen können, wurden Eifersucht auf Freundschaften und das Tolerieren größerer Freundschaftsgruppen als wichtige potenzielle Hindernisse identifiziert. Externe Faktoren, etwa Ähnlichkeiten, räumliche Nähe und die Dauer der Bekanntschaft wurden in die Daten einbezogen, von den Jugendlichen jedoch als weniger wichtig eingestuft.

„Unsere Auswertungen ergänzen die bestehende Literatur über Peer-Beziehungen, indem sie zeigen, welche Faktoren von den Jugendlichen selbst als am wichtigsten für die Entwicklung von Freundschaften angesehen werden“, erklärt die Studienautorin. In zahlreichen Workshops wurden dafür Kriterien gesammelt. So sind aggressive Verhaltensweisen genauso hinderlich wie der Umstand, jemanden nicht zu beschützen oder Dinge über andere auszuplaudern. Im Gegensatz dazu ist eine ermutigende, nette und helfende Art besonders hilfreich, Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu fassen.

Ergebnisse: Der Weg für die Praxis
Was aber braucht es, um diese Ergebnisse in die Praxis einfließen zu lassen und wie kann die Diskussion über die Implikationen für die schulpsychologische Praxis und die zukünftige Forschung vorangetrieben werden? Für die Studienautorinnen liegen die Antworten und die damit einhergehenden Herausforderungen auf der Hand: „Dringend notwendig ist eine direkte Förderung dieser sozialen Kompetenzen und der Umgang mit Konflikten in den Klassen. Lehrer:innen sollten die Zeit bekommen, das Verhalten der Jugendlichen positiv zu unterstützen. Die offene Frage ist, wem diese Aufgabe im stressigen Schulalltag zugeteilt werden könnte, denn ein eigenes Schulfach dazu gibt es nicht an jeder Schule und geschultes Lehrpersonal mit Fokus auf soziale Kompetenzentwicklung und Konfliktmanagement ist in der Lehrer:innenausbildung nicht vorgesehen. Das ist eines der Hauptprobleme in unserem Schulsystem.“

Wie wichtig Sicherheit und Freundschaft für das seelische Wohl sind, zeigt auch der Umstand der möglichen Auswirkungen: Ist das Klassenklima positiver, können mehr Freundschaften entstehen. Langfristig wird dadurch auch das Lernverhalten gestärkt. „Bei einem Schulwechsel und vielen neuen Kindern in der Klasse helfen gemeinsame Aktivitäten und eine ganz bewusste Kennenlernphase.“ Soziale Medien spielen ebenso eine Rolle, können aber den direkten Kontakt nicht ersetzen, dass sehen auch die Jugendlichen so. „TikTok-Videos und ähnliches können Freundschaften fördern, weil man gemeinsame Anknüpfungspunkte hat, schwierig wird es jedoch, wenn man aus diversen Gruppen ausgeschlossen oder blockiert wird.“

Link zur Studie: https://doi.org/10.1016/j.jsp.2023.03.001